Selten genutzte Rechtswohltat: Der Weiterbeschäftigungsanspruch
Erhält ein Arbeitnehmer eine Kündigung durch seinen Arbeitgeber, hat er die Möglichkeit, deren Wirksamkeit vom Arbeitsgericht überprüfen zu lassen. Dazu können wir jedem Gewerkschaftsmitglied nur raten, da viel zu wenige Kündigungen einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden und selten eine Kündigung rechtlich nicht zu beanstanden ist. Kosten für die Rechtsvertretung im Prozess sowie Gerichtskosten fallen für IG BCE Mitglieder nicht an, sie sind Bestandteil der Mitgliedschaft.
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Wird somit Kündigungsschutzklage erhoben, soll einerseits über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entschieden werden, andererseits auch darüber, ob trotz Kündigung der Beschäftigungsanspruch über das Ende der Kündigungsfrist besteht. Der Beschäftigungsanspruch endet mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses, also nach Ablauf der Kündigungsfrist. Mit der Weiterbeschäftigung ist die vorübergehende, d.h. vorläufige weitere Tätigkeit des Arbeitnehmers während der Zeit gemeint, in der unklar ist, ob das Arbeitsverhältnis noch besteht oder aufgrund einer Kündigung doch zum Ablauf der Kündigungsfrist endete.
Hier kann der aus § 102 V BetrVG folgende betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch helfen.
BEISPIEL: Ein Arbeitnehmer A wird ordentlich aus betriebsbedingten Gründen mit Schreiben vom 25.6.2016 zum 31. Juli 2016 vom GF der B-GmbH gekündigt. Er erhebt Kündigungsschutzklage. Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung ist realistisch nicht vor November/ Dezember zu erwarten, schon gar nicht, wenn der Prozess über mehrere Instanzen geht. Was ist nach dem 31.Juli 2016? Muss/darf der A zur Arbeit?
Nein, wenn er keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist hat.
Warum ist dies schlecht für den A?
Der Arbeitgeber händigt dem Arbeitnehmer die Arbeitspapiere aus und meldet ihn bei der Sozialversicherung zum 31.7.2016 ab.
Bis über die Kündigung rechtskräftig entschieden ist, können Jahre vergehen, und nach einer so langen Zeit der Abwesenheit vom Betrieb hat sich das alte Arbeitsverhältnis praktisch meist erledigt.
Voraussetzung für den betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch ist das Bestehen eines Betriebsrats, der der Kündigung widersprochen haben muss.
Macht der Betriebsrat dies förmlich richtig, kann AN A nach dem 31.7.16 einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung durchsetzen, obwohl der Ausgang des Verfahrens offen ist und die Kündigungsfrist abgelaufen ist.
D.h. er verbleibt im Betrieb!
Unter diesen Voraussetzungen kann der Betriebsrat hilfreich widersprechen §102 V BetrVG:
- Der Arbeitgeber hat bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte entgegen § 1 Abs.3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt.
- Die Kündigung verstößt gegen eine im Betrieb geltende, in der Regel von der Geschäftsleitung gemeinsam mit dem Betriebsrat festgelegte Personalauswahlrichtlinie.
- Der zu kündigende Arbeitnehmer kann an einem anderen freien Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden.
- Die Weiterbeschäftigung des zu kündigenden Arbeitnehmers ist nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich.
- Eine Weiterbeschäftigung des zu kündigenden Arbeitnehmers ist unter geänderten Vertragsbedingungen möglich und der Arbeitnehmer hat sein Einverständnis hiermit erklärt.
Die Rechtsprechung stellt allerdings einige Anforderungen an den förmlich sauber zu begründenden Widerspruch. Die floskelartige Wiederholung des Gesetzestextes reicht nicht aus.
So sollte z.B. bei der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz dieser vom Betriebsrat konkret benannt werden und mitgeteilt werden, warum der gekündigte Arbeitnehmer für diesen Arbeitsplatz geeignet wäre. Für die ausreichende Begründung des Widerspruchs ist nicht entscheidend, ob die im Gesetz genannten Widerspruchsgründe im Einzelfall auch tatsächlich vorliegen. Es genügt, wenn der Betriebsrat der Meinung ist, sie lägen vor.
Bei konkreter Auseinandersetzung und guter Begründung des Widerspruchs bestehen gute Chancen, den Arbeitnehmer bis zum Abschluss des Verfahrens im Betrieb zu halten, was die Chance auf eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch aus praktischer Sicht erheblich erhöht.
Für die Unterstützung unserer Betriebsräte stehen wir natürlich auch bei dieser Fragestellung gerne zur Verfügung.